10. Station: drei Magnolien, zwei Feldahorne und ein Japanischer Schnurbaum

Moltkestr. 1-3/Eisenbahnstr. 1,1a-11/Alter Wall /Innenhof

Mats und Mara lernen eine Magnolie, einen Rosenkäfer und zwei Schreiberlinge kennen. Sie sorgen dafür, dass die Schreiberlinge dieser Geschichte eine Geschichte über Wurzelwichte schreiben.

Mara, ich habe Bäume gefunden! - ruft Mats begeistert. Er steht in einem Innenhof. Um einen Spielplatz herum strecken einige junge Bäume ihre Äste in den Himmel: Feldahörner, die kennen Mats und Mara schon aus ihrem Wald. Japanische Schnurbäume, die haben sie hier in der Stadt kennengelernt. Und dann sind da noch drei Bäume, über und über bedeckt mit betörend duftenden Blüten. Solche Bäume haben Mats und Mara noch nie gesehen. Ob ihnen hier einer der Bäume weiterhelfen kann?

"Pssst!" flüstert Mara, "da sind Menschen!"
Tatsächlich, auf der Kinderwippe sitzen sich zwei große Menschen gegenüber, ein Mann mit einer Strickmütze und eine Frau mit bunten Haaren. Aber sie sind so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie Mats und Mara ohnehin nicht wahrnehmen könnten. Selbst wenn die beiden auf ihren Nasenspitzen einen Frühlingstanz machen würden. Trotzdem sind die Wurzelwichte vorsichtig und scheu. Aber auch furchtbar neugierig. Und so schleichen sie sich leise an die beiden Menschen heran und lauschen ihrem Gespräch.

Der Mann hält ein Buch in der Hand "Magnolien" steht darauf, und ein Baum ist abgebildet, gerade so wie die duftenden Blütenbäume hier im Innenhof. Beide Menschen halten einen Stift in der Hand und machen sich Notizen. Mats und Mara wird klar, dass die beiden Schreiberlinge sind. Soviel sie heraushören können, gibt es eine Gruppe von Kindern, die Wurzelkinder, die jeden Tag in den Wald kommen. Seit 20 Jahren schon haben die dort einen Kindergarten. Und jetzt, zum Geburtstag des Kindergartens, schreiben die beiden Schreiberlinge eine Geschichte über Bäume in der Stadt. Das finden die beiden Wurzelwichte natürlich extrem spannend. Sie verstecken sich hinter einem Stein in ihrer Nähe und merken schnell, dass die beiden Menschen Bäume eigentlich vor allem aus Büchern kennen. Unterhalten haben sie sich noch mit keinem. Die anwesenden Bäume müssen darum immer wieder kichern, als sie dem Gespräch der beiden lauschen.

Plötzlich hat Mats eine Idee
"Sie könnten doch über uns schreiben!" platzt Mats heraus. "Dann können die Kinder, die die Geschichte lesen, uns vielleicht helfen, in den Wald zurückzufinden! Sie erfahren, was wir erlebt haben. Vielleicht pflanzen sie dann sogar noch mehr Bäume in der Stadt, einen ganzen Wald, damit die Bäume hier nicht immer so einsam sind. Und es bessere Luft gibt..." Mara lächelt.
"Das wäre toll."
"Aber gerade wollen sie leider etwas ganz anderes schreiben, hör mal zu...."

Die Frau erklärt dem Mann ihre Idee für den Anfang der Geschichte:
"Es gibt doch diese ganz alte, nordische Sage. Als es noch keine Menschen auf der Erde gab, gingen die Götter am Meeresstrand spazieren. Sie fanden das Holz zweier Baumstämme und schufen daraus die ersten beiden Menschen, Ask und Embla. Was meinst du?" fragt die Frau. Der Mann überlegt.
"Aber das waren doch eine Ulme und eine Esche oder? Lass uns doch erst einmal etwas über diese Magnolie hier herausfinden..."

Der Mann öffnet sein Buch. Auch Mats und Mara spitzen jetzt ihre Wichtelohren. Sie wollen wissen, was es mit diesen Blütenbäumen auf sich hat.
"Magnolien sind schon ganz schön alt, die gab es schon zur Kreidezeit vor über 100 Millionen Jahren. Also, als es noch die Dinosaurier gab. Damals gab es auch bei uns hier Magnolien." erklärt der Mann. Die Frau auf der Wippe ist begeistert.
"Dann könnten wir doch eine Geschichte schreiben über einen Tyrannosaurus Rex, der anders ist. Alle Tyrannosaurus Rexe essen Fleisch, nur dieser eine ist Vegetarier und ernährt sich von Magnolienblüten. Dinosaurier mögen Kinder doch immer gerne!"

Mats und Mara sehen sich an.
"Wir müssen sie irgendwie dazu bringen, über das Hier und Jetzt zu schreiben. Über die Bäume und über uns und nicht über Dinosaurier...", flüstert Mara.
Der Mann und die Frau stehen auf und stellen sich unter die Magnolie. Auch Mats und Mara schleichen zur Magnolie, klettern den Stamm hinauf und verstecken sich in einer der duftenden Blüten.
“Vielleicht hilft es, wenn wir sie ablenken”, raunt Mats. Er lässt ein Blütenblatt zu Boden segeln, direkt vor das Gesicht des Mannes. Der nimmt es hoch, streicht mit der Hand nachdenklich über das seidige Blatt, riecht daran und antwortet:
"Hm, ja, nicht schlecht, aber irgendwie geht es ja dann mehr um Dinos, als um Bäume."
Die Frau tastet den Stamm der Magnolie ab. Die Magnolie spannt stolz ihre Rinde an.
"Seltsam", meint die Frau. "Bienen scheinen die Magnolie nicht gern zu mögen, da ist ja keine einzige.” Die Magnolie seufzt.
"Bienen holen meinen Pollen ja auch nicht..." Aber die beiden Menschen hören die Magnolie nicht.

Der Mann blättert in seinem Buch, bis er fündig wird.
"Stell dir vor!" ruft er erstaunt. "Magnolien werden von Käfern bestäubt!"
"Was heißt bestäuben?" fragt Mara leise. Die Magnolie antwortet ihr:
"Menschen nennen das Bestäubung, wenn wir Baumkinder machen. Ein Insekt oder der Wind trägt Pollen von einer Blüte zur anderen, daraus kann dann ein Samen entstehen und daraus wiederum ein kleiner neuer Baum."
"Ach so," sagt Mara. "Wir Wurzelwichte nennen das Baumpost."

Der Mann liest weiter in seinem Buch:
"Ganz früher gab es zunächst nur Nadelbäume und Farne, daraus haben sich dann irgendwann Laubbäume entwickelt. Die Magnolien sind eine Art Zwischenform. Damals gab es noch keine Bienen. Aber dafür Käfer."
"Genau! Uns gibt es schon richtig lange!" Mats und Mara schrecken herum. Neben ihnen, direkt in einer der großen Magnolienblüten, sitzt ein kleiner Rosenkäfer. Mit seinen schillernden glänzenden Flügeln ist er prächtig anzusehen. Er wühlt im Pollen einer Magnolien-Blüte herum und schmatzt vergnügt. Ein wahres Festmahl!

Der Mann liest derweil etwas vor über Käfer im Vergleich zu Bienen:
"Die Käfer gelten als eher ungeschickte Bestäuber, weil sie auf der Nahrungssuche alles sofort auffressen. Im Gegensatz zur Biene, die fein säuberlich ihr Sammelgut ins Nest trägt. Dabei verwüsten die Käfer die Blüten oftmals mit ihren Beißwerkzeugen und hinterlassen dazu noch ihre Hinterlassenschaften in den Blüten."
"Was meint er damit?" flüstert Mats zu dem Käfer. "Machst du in die Blüten Kacka?" Der Rosenkäfer fliegt etwas beleidigt zur nächsten Blüte, antwortet aber dann doch.
"Pfff... Ja, manchmal. Menschen! Als ob die bessere Tischsitten hätten. Was ich da schon alles gesehen habe..."
Auch die Magnolie mischt sich jetzt ein.
"Ich mag meine Käfer sehr, das mit der Bestäubung klappt wunderbar. Ordnung wird überschätzt! Ein bisschen Unordnung in den Gärten wäre hier in der Stadt für uns Pflanzen und die Tiere gar nicht so schlecht!"

Unter der Magnolie geht das Menschen-Gespräch weiter:
"Also ich finde meine Idee mit dem Tyrannosarus Rex immer noch gut", sagt die Frau gerade. Mats und Mara sehen sich wortlos an. Sie haben einen Plan gefasst, pflücken jeweils ein Blütenblatt, stellen sich direkt über die beiden Menschen auf einen Ast und lassen sich herabsegeln. Mats landet auf der Schulter der Frau, Mara auf der des Mannes und ganz leise flüstern sie den beiden Menschen etwas ins Ohr. Dann klettern sie vorsichtig an den großen Menschen herab und rennen zurück zur Magnolie.

"Merkwürdig", sagt die Frau mit den bunten Haaren. " Es kommt mir vor", als ob wir nicht alleine wären."
"Vielleicht brauchen wir ja gar keinen Tyrannosarus Rex." überlegt der Mann. "Wie wäre es wenn wir eine Geschichte über zwei Wurzelwichte erzählen?"
"Eine wunderbare Idee!", sagt die Frau strahlend, "dieselbe hatte ich auch gerade. Und die Magnolie passt auch ganz toll in die Geschichte. Die zwei Wurzelwichte reisen in der Stadt von Baum zu Baum, um zurück in ihren Wald zu finden."
"Ich habe auch schon eine Idee, wie die Geschichte beginnen könnte", sagt der Mann: “Eine uralte, knochige Eiche wächst ganz tief im Wald. Schon viele Sommer und Winter reckt sie ihre starken Äste der Sonne entgegen. In dieser Eiche wohnen Mats und Mara. Sie sind Wurzelwichte...“

Sicher in einem Blütenblatt verborgen hören Mats und Mara den beiden Schreiberlingen noch eine Weile zu, dann erklingt ein Wispern unter ihnen. Es ist die Magnolie.
"Kommt, ich gebe euch meinen siebten Buchstaben mit." Mats schreibt auf eines der grünglänzenden Magnolien-Blätter ein großes I.
"Danke" sagt Mara. Der Rosenkäfer mischt sich jetzt auch wieder ein:
"Und ich, ich bringe euch zu einem anderen Baum, der euch vielleicht weiterhelfen kann. Ist zwar keine Käferblume, aber trotzdem ein netter Kerl..." Der Rosenkäfer surrt davon, Mats und Mara haben Mühe, ihm hinterherzukommen.


Wenn Mats und Mara der Hegaustraße, über die sie hineingekommen sind, einfach folgen, kommen sie zurück auf die Molkestraße, auf der sie bis zum Zähringer Platz laufen.

Sie überqueren die Straße und laufen bis zur Bäckerei Schneckenburger. Dort geht es nach rechts in die Konrad-Witz-Straße. Sie folgen der ersten Abzweigung links und landen auf einem Hof mit einem großen alten Baum und einem neu gepflanzten Zierapfel neben einem kleinen Spielplatz. Dort ist STATION 11.